Mailbox-Aufzeichnungen sind kein Phantom: Widerspruch zwingt zur Aufklärung
Nach den Erklärungen von Christian Wulff widersprach der Springer-Verlag der Darstellung des Bundespräsidenten. Und so steht nun Aussage gegen Aussage. Die Bürger sollen sich ihr Urteil über ihren Präsidenten (zumindest hinsichtlich des sogenannten Medien-Skandals) anhand eines „Phantoms“ bilden. Fragen von Drohung oder gar Nötigung mit empfindlichen Übeln durch einen hohen Amtsträger stehen im Raum. Ziel sei vermutlich die Unterlassung oder Verschiebung einer Veröffentlichung gewesen (§ 240 StGB). Ebenfalls im Raum steht die Frage, ob der Bundespräsident von der BILD-Zeitung verleumdet, falsch oder ungenau beschuldigt wurde. Hat die Bild-Zeitung mit ihrer Anklage übertrieben oder gar gelogen? Die BILD-Zeitung hat über das "Wulffen" kein "Bild", doch warum veröffentlicht sie nicht Wulffs angeblich rüden Ton? Der auflagenstarken und erfolgreichen Bild-Zeitung wird allzu gern Informations- und Meinungs-Manipulation unterstellt. Schließlich hatte sie zuvor die Begeisterung von Bundeskanzlerin Angela Merkel für Christian Wulff geteilt und ihn lange sehr lobend und freundschaftlich publizistisch begleitet. Wulff fuhr mit Bild "den Aufzug hoch" in den Politik-Himmel. Die BILD hat lange gute Meinung für Wulff gemacht. Deswegen fragen sich die Bürger jetzt: Ist eine Männer-Freundschaft zwischen Christian Wulff und Kai Diekmann in die Brüche gegangen und wird jetzt ausgeteilt? Oder hat die BILD-Zeitung inzwischen bessere Erkenntnisse gewonnen, die sie zweifeln lassen? Informationen und Erkenntnisse, vor denen sie die Augen nicht verschließen konnte, wenn sie ihrer Informationspflicht nachkommen und sauberen Journalismus betreiben will? Hat also die BILD-Zeitung gar nicht gelogen und übertrieben, sondern ihre Aufgabe mutig und standfest erfüllt? Im politischen Berlin wird jetzt „Le Fantôme de l'Opéra“ gespielt. Ihre Hauptdarsteller sind Christan Wulff und Kai Diekmann. Die „Berliner Politik-Seifen-Oper“ erinnert an den klassischen Schauerroman von Gaston Leroux auf dem Pariser Schauplatz „Opéra Garnier“ im Jahre 1877. Wie damals in Paris tut sich heute in Berlin ein Labyrinth von Deutungen auf und das Phantom bleibt unsichtbar verborgen: Das Protokoll über den vermeintliche Drohanruf des Präsidenten. Wir, die Bürger, sollen (wie Christine in dem Leroux-Roman) zwischen zwei „Figuren“ in Eriks Kästchen wählen: Einem Skorpion oder einer Heuschrecke? Die zwei Kontrahenten verwirren und lassen (wie Erik und Raoul) ihre bürgerlichen Betrachter nur schwer ihren wahren Charakter erkennen. Erst in den letzten Opern-Szenen der totalen und rückhaltlosen Aufklärung wird es möglich sein, sich (nach einem großen Knall) mit dem Charakter des Einen zu identifizieren und mit dem Mann der Wahrheit zu sympathisieren. Dann wird sich auch zeigen, ob Christian Wulff ein Ehrenmann oder ein zweiter "Möllemann" ist. Bis dahin dürften die Medien noch einen genauen Blick auf die "Osnabrück Connection" werfen und der Frage nachgehen, ob Unternehmer-Gattin Edith Geerkens echte Kreditgeberin oder nur "Strohfrau" war und warum danach ausgerechnet eine baden-württembergische Bank eine Immobilie in Niedersachen finanziert hat.
Affen-Theater über Mailbox-Inhalt und Meinungen von Vorzugs-Journalisten?
Für ein objektives Urteil wollen die Bürger sehen, ob zwischen dem, was wirklich geschehen ist, und dem, was kommuniziert wurde, eine Divergenz besteht. Erst wenn das Volk den Inhalt der Mailbox-Ansage des Bundespräsidenten kennt, können sich die Bürger ein eigenes Urteil bilden und sind nicht mehr auf Hörensagen, Stern-Deuter, Stern-Singer oder Vorzugs-Journalisten angewiesen, die ihre Show bekommen und über Teil-Inhalte fabulieren. Zur Wiederherstellung oder Wahrung der Glaubwürdigkeit der Streitenden und zur Beseitigung jeder Manipulations-Verdächtigungen gegen Springer-Medien ist die Veröffentlichung des Protokolls der Mailbox-Ansage des Bundespräsidenten unerlässlich. Dies liegt im überragenden öffentlichen Interesse. Fakten sind jetzt gefragt und nicht Meinungen.
Im Namen des Volkes: Das "Corpus Delicti“ muss auf den Tisch.
Das Beweisstück über behauptete und vermeintliche Einflussnahme, Drohung, Nötigung oder Einschüchterung darf nicht Spekulations-Objekt bleiben, sondern es muss sichtbar und wörtlich neutral bewertbar sein. Für eine Zurückhaltung unter dem Aspekt der Vertraulichkeit des nicht öffentlich gesprochenen Wortes ist Artikel 201 des Strafgesetzbuches nicht relevant. Dies bestätigte uns auch Professor Dr. Gerhard Dannecker, Ordinarius für Strafrecht, Strafprozessrecht und internationales Strafrecht an der Universität Heidelberg. Dannecker äußerste sich nur (rein juristisch) zur Verwertbarkeit einer Mailbox-Aufzeichnung; zur Frage des Inhalts der Aufzeichnung wollte er ohne genaue Kenntnis des Wortlautes keinerlei Bewertung abgeben. Der Artikel § 201 StGB ist deswegen nicht relevant, weil dieser nur die unbefugte Aufzeichnung des nicht öffentlich gesprochenen Wortes verbietet, nicht jedoch die Verbreitung des befugt aufgezeichneten. Bei der Bewertung der Rechtslage ist das Wort „unbefugt“ entscheidend. Gemeint ist dabei die heimliche Aufnahme des nicht öffentlich gesprochenen Wortes. Zulässig ist aber selbstverständlich die Aufnahme, wenn der Sprechende der Aufnahme zustimmt. Dies ist bei einem Anrufbeantworter oder einer Mailbox der Fall. Dort wird dem Anrufer mitgeteilt, dass der Angerufene nicht persönlich sprechbar ist, der Anrufer seine Mitteilung aber auf ein Tonband aufzeichnen lassen kann, wenn er dies wünscht. Will der Anrufer davon absehen, weil er die Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes beansprucht, kann er auflegen. Die Besprechung einer Mailbox ist somit die Genehmigung zur Aufzeichnung und zur Wiedergabe und kein "Vier-Augen-Gespräch". Das dürfte auch dem Juristen Christian Wulff und den Juristen von Verlagshäusern bekannt sein. Einer Zustimmung von Wulff zur Veröffentlichung des Protokolls bedarf es daher nicht. Doch auch für Wulff ist gut, wenn die Luft heraus kommt und Klarheit einkehrt.
Fauxpas, Realitätsverlust oder zu starre Beharrlichkeit?
Der Realitätsverlust des Bundespräsidenten könnte u.a. darin bestehen, dass er ganz normal findet, was seine Staatsbürger gar nicht als üblich empfinden können; und worauf sich deren Kreditgeber vielleicht nicht einlassen würden. Zum Beispiel auf einen freundschaftlichen 500.000-Euro-Kredit zu Traum-Konditionen, ausgezahlt mit einem anonymisierten Scheck. Ein Darlehen der BW-Bank für ein Haus im hohen Norden, statt von einer Bank vor Ort. Keine Eintragung von direkten Grundbuchsicherheiten für die Erstkreditgeberin und damit Gefahr des Vermögensverfalls (siehe Milliardenforderungen) oder anderweitiger Belastungen der Sicherheiten durch den Kreditnehmer. Urlaubsreisen an noble Orte und mit gehobener Verpflegung, die Freunde bezahlen. Schließlich: Wer hat schon Freunde, die einem so einfach (ohne besondere Erwartungen) 500.0000 Euro leihen? Gewiss hätte der Präsident hier mehr Sensibilität benötigt. Vielleicht zeigte er zu lange zu große Sturheit für diese Einsicht, und für eine angemessene Reaktion gegenüber seinem Volk. Das fragt sich: Haben Wulffs "Ossenbrügger Freunde" ihm "Ochsen-Brücken" gebaut? Wulffs durchsetzungsbedürftige Jugend (mit einem Mangel an Vater-Erziehung) könnte den Grundstein für einen Lebensweg gelegt haben, bei dem eine zielorientierte Verbissenheit die Bremse für manche Einsichten in seine Bedürfnisse, sein Ego und sein Alter Ego sein könnte. Der Anruf bei "Bild" war jedenfalls ein "Faux Pas par le Président".
"Besser die Wahrheit" - Transparenz führt zur besseren Wahrheit
Nur Transparenz kann neues Vertrauen bringen und man kann nur hoffen, dass Wulff sein Transparenz-Versprechen nicht bricht. Die Vorsitzende von Transparency International Deutschland e.V., Prof. Dr. Edda Müller, will ein Fanal für Transparenz setzen: Sie will ihre Teilnahme am Neujahrsempfang des Bundespräsidenten absagen. Die Transparenz der Sachverhalte liegt im Interesse der Presse und des Bundespräsidenten. Der Bundespräsident ist nach meiner Meinung extrem schlecht beraten, wenn er nicht die volle Wahrheit auf den Tisch legt. Gute Berater hätten den Bundespräsidenten von scheibchenweisen Eingeständnissen bewahrt und auf die volle, rückhaltlose Wahrheit eine einzige klare und glaubwürdige Entschuldigung folgen lassen. Wenn diese Wahrheit Taten enthält, die wirklich verwerflich sind, kann man dafür um Entschuldigung bitten. Was der Bundespräsident tatsächlich gesagt hat, ist längst zum berechtigten öffentlichen Interesse geworden. Alle Vorwürfe gegen den Präsidenten können besser geklärt werden. Geklärt werden kann vor allen Dingen, ob es sich bei den Sachen, die dem Präsidenten vorgeworfen werden um Straf-Delikte oder bloße Moral-Vorwürfe handelt. Ob eine Drohung ausgesprochen wurde, die wie eine Nötigung zu werten ist, kann die Staatsanwaltschaft mit dem zuständigen Gericht klären. Ebenfalls kann geklärt werden, ob gegen ein Ministergesetz verstoßen wurde oder Vorteile gewährt und angenommen worden sind. Schließlich kann sowohl bei Wulff als auch bei Edith und Egon Geerkens geklärt werden, wie Kredit und Geldfluss gebucht und steuerlich erklärt wurden und welche Tilgungen geflossen sind. Der Bundespräsident muss als Person des öffentlichen Interesses, besonders bei derartigen verdächtigen Verquickungen, mehr Rechenschaft ablegen als ein Privatmann, doch er hat auch Anspruch auf ein objektives Verfahren und auf die Unschuldsvermutung bis zum rechtskräftigen Beweis von Taten mit strafrechtlicher Relevanz. Auch das fordert ein Rechtsstaat. Deswegen ist jetzt wirklich rückhaltlose Aufklärung mit belastbaren Fakten angesagt. Wulff ist demokratisch in sein Amt gewählt. Solange ihn das Bundesverfassungsgericht nicht in einem rechtsformigen Verfahren nach Artikel 61 des Grundgesetzes seines Amtes enthebt, ist es allein seine Entscheidung, ob er seinen Rücktritt erkärt oder an seinem Amt festhält. Es ist Aufgabe der Presse, nachzufragen, zu recherchieren und zur Aufklärung des Sachverhaltes beizutragen. Das Urteil fällen allein die Bürger, und im Zweifel die Gerichte. Es ist nicht die Aufgabe der Presse, einen Rücktritt zu erwingen.
Aus und ins Schloss Bellevue wird es aber vermutlich in nächster Zeit keinen Schönblick geben.
Autor: Werner Semmler
INFO-BOX:
Der Wortlaut des § 201 StGB: (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer unbefugt 1. das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt oder 2. eine so hergestellte Aufnahme gebraucht oder einem Dritten zugänglich macht. (2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt 1. das nicht zu seiner Kenntnis bestimmte nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen mit einem Abhörgerät abhört oder 2. das nach Absatz 1 Nr. 1 aufgenommene oder nach Absatz 2 Nr. 1 abgehörte nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen im Wortlaut oder seinem wesentlichen Inhalt nach öffentlich mitteilt. Die Tat nach Satz 1 Nr. 2 ist nur strafbar, wenn die öffentliche Mitteilung geeignet ist, berechtigte Interessen eines anderen zu beeinträchtigen. Sie ist nicht rechtswidrig, wenn die öffentliche Mitteilung zur Wahrnehmung überragender öffentlicher Interessen gemacht wird.