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Breisach
Freitag, 15. November 2024
ISSN 2698-6949
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Infoabend Kettengasse: „Vollkommen zielfrei und ergebnisoffen“

Knorpelfisch mit Identitätskrise (Bild: Regionalia/ JWS)

Nur zwei Tagesordnungspunkte umfasste die Breisacher „Sondergemeinderatssitzung“, die am Dienstag, den 17. Mai 2011, im voll besetzten Bürgersaal des Breisacher Rathauses stattgefunden hat. Die Stadtverwaltung um Moderator Bürgermeister Oliver Rein hatte zum Thema „Bauvorhaben Kettengasse“ zwei Fachleute und einen Vertreter der Freiburger TreuBau AG eingeladen, um das Ratsgremium und die interessierte Öffentlichkeit über das Thema Gestaltungssatzung Münsterberg im allgemeinen und die von der TreuBau AG geplanten Wohnhäuser an der Kettengasse im speziellen zu informieren. 

Es ist, so Bürgermeister Oliver Rein zu Beginn der Sitzung, zu der neben dem vollzähligen Stadtrat, dem von der Stadt beauftragten Architekten Professor Klaus Humpert, Dr. Erik Roth vom Referat Denkmalschutz am Regierungspräsidium und dem Architekten Ansgar Lenser- Beck von der Freiburger TreuBau AG auch rund 60 interessierte Bürgerinnen und Bürger erschienen waren, ein „sehr emotionales Thema“. Die Stadt, berichtete Rein weiter, befindet sich auf einem „hoch sensiblen Weg“ hin zu einer Gestaltungssatzung für ihre Identitätsstelle, den Münsterberg. Diese, schloss Rein den Kreis zum Thema des Abends, könne man sich aber sparen, wenn die Kettengasse nicht gelingt. Nach einer kurzen Chronologie des umstrittenen Projektes vom Fortgang der Firma Suhr im Jahre 2009, über den Grundstücksverkauf an den Freiburger Bauträger im September desselben Jahres, die mehrheitliche Zustimmung im Gemeinderat für die von der TreuBau vorgestellte Bebauung im Juli 2010 bis hin zur Ablehnung des Bauvorhabens durch das Regierungspräsidium im Dezember 2010.
Anschließend machte der Bürgermeister die wichtigste Fragestellung für das weitere Vorgehen deutlich: „Was ist das Beste für die Stadt?“
 
„Krone auf dem Berg“ mit „übergeordnetem Gestaltungsprinzip“
Anhand zahlreicher Beispiele erläuterte Professor Klaus Humpert, Emeritus der Fakultät für Architektur und Stadtplanung an der Universität Stuttgart, Stadtbauamtsleiter a. D. der Stadt Freiburg und Experte für mittelalterlichen Städtebau, die Struktur der mittelalterlichen Stadt. Diese, so Humperts bereits vor 20 Jahren aufgestellte These, sei nicht, wie in der Lehrmeinung bisher angenommen, gewachsen, sondern anhand exakter geometrischer Figuren genau geplant worden. Dominant im mittelalterlichen Stadtbild sind vor allem die Kreisbögen, leicht gerundete Kanten der Baufluchten also, die er bei allen Zähringerstädten, so auch auf Breisachs Münsterberg entdeckt hat. Diese „sensiblen Kanten“ dürften nicht verletzt sondern müssten gestärkt werden, wenn man, gerade bei einer zweimal nahezu vollkommen zerstörten Stadt wie Breisach, den ursprünglichen Charakter bewahren beziehungsweise wieder herstellen wolle.
„Die Kanten addieren sich zu den Räumen. Jeder, der baut, sollte mithelfen, die Figur zu stärken“, forderte Humpert von allen zukünftigen potentiellen Bauherren/Innen. Davon würde es in nicht allzu ferner Zukunft auch etliche geben, unterstrich der Professor die Wichtigkeit diese Vorgehens, denn eine große Zahl der Häuser in der Breisacher Oberstadt würde vor allem aufgrund der schlechten energetischen Standards der Gebäude binnen etwa 20 Jahren verschwunden sein und zahlreichen Neubauten weichen.
Das Wichtigste, gab Humpert allen Anwesenden zu bedenken, sei „ein Bewusstsein für die Stadt als ganz hoher Wert und politische Aufgabe“. Breisach, mit seiner „Krone auf dem Berg“ sei ein Kleinod „wie in Italien“ schwärmte Humpert von der Münsterstadt. Dieses Kleinod gälte es durch ein „übergeordnetes Gestaltungsprinzip zu bewahren, wobei die Kettengasse „die Nagelprobe“ ist, schloss der Architekturprofessor seinen beeindruckenden Vortrag.
 
Bürgermeister Oliver Rein fasste die wichtigsten Aussagen nochmals zusammen, Stärkung der Raumfigur und starke Veränderungen der Oberstadt in den kommenden Jahren. Er zeigte sich „fest entschlossen“ sich diesen Aufgaben zu stellen und „das Projekt Gestaltungssatzung zu einer Entscheidung zu führen“.
 
Schützenswerte Güter: Stadtgrundriss und Stadtaufriss
Weniger leidenschaftlich aber ebenso interessant war der folgende Fachvortrag von Architekt Dr. Erik Roth vom Referat 26 (Denkmalpflege) am Regierungspräsidium Freiburg. An Roths Abteilung war der Erstentwurf der TreuBau AG im vergangenen Jahr gescheitert.
„Ich sehe es sehr gerne, dass die Stadt Breisach sich auf den Weg macht ihre Konzepte zu aktualisieren“, lobte der Denkmalpfleger das Engagement von Breisacher Stadtverwaltung und Stadtrat.
Schützenswert, so der Architekt, seien bei der Oberstadt zum einen der Grundriss, also sie Straßenführung, wie auch schon Vorredner Professor Humpert ausgeführt hatte, und zum anderen der Aufriss, also die besondere Silhouette des Münsterberges. Diese besteht, obwohl mittlerweile durch den „Gartenstadtcharakter“ schon deutlich begrünt, aus den markanten Punkten St. Stephansmünster und Radbrunnenturm. Die dritte im Bunde, die ehemalige Burg des Zähringers Bertholds V auf der Bergnordseite, ist im 18. Jahrhundert zerstört worden.
Die Bebauung im Westen, führte Roth aus, wurde schon immer bewusst niedrig gehalten, um den Blick auf den Radbrunnen freizulassen. Dies ist aber gegenwärtig noch schwieriger, da der Radbrunnenturm nach seiner Zerstörung nicht mehr in seiner ursprünglichen Höhe aufgebaut worden war.
Der Ausblick gen Westen, der sich vom Spielplatz an der Ursulinengasse bietet, ist „eine sehr attraktive Situation“, so Dr. Roth, dennoch stellt die Fläche historisch gesehen einen Platz für Bebauung dar, da hier bis zum Zweiten Weltkrieg immer ein Gebäude gestanden hat, eine Neubebauung also der „historischen Stadtstruktur“ entspricht. Als „etwas traurig“ bezeichnete Roth den eingezäunten Lehrerparkplatz unterhalb. „Hier könnte etwas Hochwertiges entstehen“, schwärmte der Fachmann. Die Gebäudeumplatzierung auf den Spielplatz bringt drei Vorzüge, kam Dr. Roth wieder auf das Kernthema zu sprechen: Einerseits bleibt der Blick auf den Radbrunnen gewahrt. Zum anderen liegt das potentielle Bauland rund 1, 50 Meter tiefer als das TreuBau- Grundstück, so dass das Haus niedriger wirken würde. Und zum Dritten würde der südliche Teil des TreuBau- Grundstückes, auf dem noch nie ein Gebäude gestanden hat, als ein „Archiv im Boden“ späteren archäologischen Forschungen unzerstört erhalten bleiben. Die Raumfluchten allerdings würden bei dieser Bebauung nicht eingehalten.
 
„Grundstücke kaufen und bebaubar machen“
Drei handgemalte Bauvarianten hatte Architekt Ansgar Lenser- Beck, Mitglied der TreuBau- Geschäftsführung, im Gepäck. Lenser- Beck, der etliche Jahre als freier Architekt tätig gewesen war, bevor er zu TreuBau AG kam, betonte, dass er vollkommen „zielfrei und ergebnisoffen“ in die heutige Sitzung gekommen sei. Keineswegs wolle er als „feindlicher Investor“ wahrgenommen werden, der „sich eine Filetstück am Münsterberg sichert“. Allerdings, so Lenser- Beck, sei die Lage an der Kettengasse „ideal für ein kleines Wohnbauvorhaben.“
Nachdem seinem Unternehmen „der erste, etwas fahrlässige Entwurf um die Ohren geflogen ist“, präsentierte er nun drei Varianten möglicher Bebauung, die alle auf der bereits zuvor präsentierten Satteldachbauweise beruhen. Variante 1 ist eine alte Bekannte: Ein Haus steht an der Kettengasse, das zweite, gleichartige parallel dazu auf dem Spielplatz an der Ursulinengasse. Hier hängte Lenser- Beck den Vorschlag an, den trostlosen Lehrerparkplatz aufzuwerten und in „Breisachs Kanonenplatz“ zu verwandeln. Variante 2, die kleine Kompromisslösung, sieht zwei unterschiedlich große Gebäude vor, die wie in Variante 1 positioniert werden. Ein Drittel des Spielplatzes bliebe so im Besitz der Stadt und könnte beispielsweise als Aussichtsplattform genutzt werden. Variante 3 schließlich, die brave, sieht drei Gebäude in Form eines nach Westen offenen Hufeisens auf dem bereits von der TreuBau erworbenen Grundstück vor.
 
„Es gibt keine Lösung, die alle Möglichkeiten abdecken kann“
Zu Variante 1 teilte Breisachs Bürgermeister mit, dass sowohl von Seiten der Schulleitung des Theresianums als auch von Seiten des Geschichtsvereins ein Nein zur Bebauung der Fläche gekommen sei. Während die Schule weder auf ihren lieb gewordenen Pausenrasen noch auf den Lehrerparkplatz verzichten will, hält der Geschichtsverein vor allem am unverbauten Westblick fest, so Rein.
 
Das Dilemma machte auch Professor Humpert nochmals deutlich: Die archäologisch wertvolle Fläche frei halten, die Stadtkanten stärken, den Radbrunnen sichtbar machen und den Ausblick erhalten ließen sich unmöglich unter einen Hut bringen. „Sie müssen einen Tod sterben“, so der architektonische Altmeister, der dem jungen Mann von der TreuBau bescheinigte, dass er die Wichtigkeit der Baufluchten „noch nicht ganz kapiert habe“.
 
„Varianten prüfen und abwägen“ - Stellungnahmen des Stadtrates
Für die CDU- Fraktion unterstrich Jörg Leber die Wichtigkeit der Veranstaltung, die auf seine Initiative zustande gekommen ist. „Es gilt alle Varianten zu prüfen und Pro und Contra gegenüberzustellen“, so der Bürgermeisterstellvertreter.
Reiner Zimmermann (SPD) pochte darauf, sich bei der Entscheidung Zeit zu lassen und vor allem die Bürger/Innen mit einzubeziehen. „Wir dürfen das Thema nicht mit heißer Nadel stricken“, warnte der Vorsitzende der SPD- Fraktion im Kreisrat. Zimmermann betonte auch die große Verantwortung, die auf dem Gemeinderat als dem letztlichen Entscheidungsträger lastet: „Wir müssen Kante zeigen! Da oben gibt es Allgemeininteressen, die unantastbar sind!“ Zimmermann hielt es für sinnvoll, Neubauten in ein Gestaltungskonzept zu integrieren und keine Einzelprojekte zuzulassen.
Eric Karle (ULB) lobte zunächst Lebers „gute Idee“ zur Informationsveranstaltung. Allerdings tat er auch sein Erstaunen über die plötzlich anberaumte Sondersitzung kund, da eigentlich bereits an diesem Abend über den Grundstückstausch hätte entschieden werden sollen. Karle freute sich zudem über Bau- Variante 3, da diese ohne den Spielplatz auskommt. Außerdem regte er eine vierte Variante an, die sich zum einen auch auf dem TreuBau- Grundstück realisieren lässt und zum anderen die Raumfluchten des Professors stärkt: Ein L- förmiges Doppelgebäude entlang Ketten- und Pforrgasse nämlich. Während Professor Humpert diese Variante „am liebsten wäre“, da sie „das Kreuz da oben für jedermann sichtbar macht“ und die „wunderbare Herausbildung“ der Raumfluchten unterstreicht, konnte TreuBau- Architekt Lenser- Beck dem Vorschlag nichts Gutes abgewinnen. „Bauen an der Nordseite ist tabu“, so der Pragmatiker. „Die Leute stellen heute andere Wohnanforderungen, die Eckräume sind nicht nutzbar“, lehnte er die Idee kategorisch ab.
Werner Schneider beklagte für die FDP- Fraktion die Behandlung des „sehr sensiblen Themas“ in der Öffentlichkeit. Seine Fraktion wünscht sich eine Planung, die „mit der späteren Gestaltungssatzung 100%tig übereinstimmt“. Eine Planung auf dem TreuBau- Grundstück, so Schneider weiter, „wäre der FDP am liebsten.“
 
„Möglichst viele Wohnungen verhökern“
Den Auftakt der Bürgerfragestunde machte ein Breisacher, der die Stadt noch aus der Zeit vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg kennt und auch beim Wiederaufbau des arg ramponierten St. Stephansmünsters beteiligt war. Er beklagte zum einen die mangelnde Informationspolitik der Stadt gegenüber dem Geschichtsverein, dessen Mitglied er ist.
„Ich möchte den Herrn von der TreuBau nicht kränken“, so der betagte Herr ebenso höflich wie deutlich, „aber es geht vor allem um den Profit, darum möglichst viele Wohnungen zu verhökern.“ Des Weiteren gab er zu bedenken, dass „Handwerker und Geschäftsleute immer daran interessiert sind, wenn etwas gebaut wird, weil es nachher Aufträge gibt.“
Ein sehr junger Bürger wollte wissen, ob nicht bei unrealisierbaren Bauvorhaben der Bauherr zurückstecken muss.
Ansgar Lenser- Beck entgegnete, dass es sein Aufgabe sei, „die Grundstücke die wir kaufen bebaubar zu machen.“ „Unsere einzige Aufgabe ist es, die Menschen mit Wohnungen zu versorgen“, umriss er die Mission der TreuBau AG. Zum Vorwurf der Profitgier fragte er erschrocken ins Rund, ob er etwa „wie ein Profit- Hai“ aussehe.
Antworten gab es auf diese Frage nicht…
Ein Anwohner der Oberstadt, der selbst als Architekt tätig ist, konnte sich nicht vorstellen, wie man ein Projekt dieser Tragweite in einer Woche entscheiden wolle. „Mir ist heute erst klar geworden, wie sehr ich an dem Spielplatz hänge“, bekannte der Redner.
Warum die Entscheidung zum Bauvorhaben Kettengasse vor der Fertigstellung der Gestaltungssatzung für den Münsterberg „in aller Eile zur Entscheidungsreife getrieben“ würde, wollte der stellvertretende Vorsitzende des Geschichtevereins wissen. Eine weitere Rednerin forderte, dass die Bauvorschriften von allen eingehalten werden müssten. „Wir wollen nicht nur die Historie bedienen, wir wollen und auch wohl fühlen“, so die Dame über ihre Vorstellung von Stadtplanung.
Ein Münsterberganwohner, selbst Bauherr auf dem Hausberg, betonte, wie eng er seinerzeit mit Stadt und Denkmalpflege zusammengearbeitet habe, nur um ein privates Wohnhaus umbauen zu dürfen. Als „ein bisschen naiv“ empfand er die Äußerung „wir bauen halt hier oben“ und „so will man wohnen“ seitens des TreuBau- Vertreters. Ein Bürger vermisste bei dem Variantenreigen der TreuBau einen Entwurf, der sich sowohl mit den Interessen des Denkmalschutzes als auch der Archäologie verträgt. „Warum immer bloß die Maximalvariante“, fragte der Mann.
„Die TreuBau ist extrem professionell“, begegnete Lenser- Beck dem Vorwurf der Naivität. Gescheitert sei das ursprüngliche Bauvorhaben lediglich an der Sichtbeziehung zum Radbrunnen, betonte er zudem. „Der Flächentausch ist fast zwingend notwendig“, landete Lenser- Beck schließlich wieder am Anfang der Diskussion.
421 Unterschriften gibt es bereits gegen den Grundstückstausch, berichtete Dr. Andreas Hoffmann von der ULB. „Sei wachsam beim Grundstückskauf“, riet er dem Vollprofi Lenser- Beck. Außerdem vermisste er eine Variante, die schlichtweg weniger Wohnungen vorsieht.
„Da oben ist kein Baurecht vorhergedacht“, fasste Professor Klaus Humpert den informativen Abend samt Auftrag an den Stadtrat zusammen, „sie als Gemeinderat sind jetzt auf dem Topf einen Planungsprozess zu realisieren!“
„Die TreuBau ist ein Partner, mit dem die Stadt sich auf den Weg macht und kein bösartiges Wesen“, so das Schlusswort des Bürgermeisters im mittlerweile sauerstofffreien Bürgersaal. Es bleibt zu hoffen, dass Rein hier richtig liegt!
 
Autor:  Julius W. Steckmeister (Breisacher Nachrichten, Artikel-Nr. 4352 ISSN 2698-6949)

Angelegt am 18.05.2011 13:05.

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