Die zweibändige Märchenkompilation, die die Sprachwissenschaftler Jacob und Wilhelm Grimm berühmt machte, hieß bei ihrer Erstauflage im Jahre 1812 beziehungsweise 1815 „Kinder- und Hausmärchen“. Inzwischen sind sich aber sowohl Literaturwissenschaft als auch Pädagogik darüber einig, dass sich die von den rührigen Brüdern gesammelten Geschichten eher weniger für Kinder, zumal solche im Vorlesealter, eignen. Nicht anders verhält es sich mit den Märchensammlungen von Grimm- Kollegen wie beispielsweise Hans Christian Andersen. Während die Breisacher Festspiele im vergangenen Jahr mit „Der kleinen Meerjungfrau“ ein Märchen des Letzteren auf die Bühne brachten, hat Peter W. Hermanns in diesem Jahr ein Grimm- Märchen, das vom Teufel mit den drei goldenen Haaren nämlich, zum Kinderstück umgearbeitet. Und wie schon im vergangenen Jahr ist es Hermanns mit viel Kreativität und Ideenreichtum gelungen, den komplexen Märchenstoff ebenso kindgerecht wie humorvoll in die heutige Zeit und auf die Theaterbühne zu bringen.
Schon fast lebendig begraben war Glückshaut- Träger und Märchenheld Paul (Jakob Stubert), als ihm, ganz entgegen dem Naturell ihres Enkels, des Teufels Großmutter (Elke Bürgin) das Leben rettete. Den Hühnerknochen aus dem Hals gerade glücklich losgeworden, kommt Paul nun dem König von offensichtlich „Bürokratien“ in die Quere. Der missmutige Monarch Heinrich der Erste (Thomas Schweizer), lässt den aufmüpfigen Jungen, der auch König werden will, mal eben zum Tode verurteilen. Und schon wieder findet sich Paul am Rand des für ihn geschaufelten Grabes wieder. Aber der König ersinnt schließlich noch einen teuflischeren Plan: Mit einem Brief, indem seine eigene Inhaftierung angeordnet wird, schickt der Monarch Paul an den Königshof. Aber Paul wäre kein Glückskind, wenn ihm nicht ein weiteres Mal, diesmal durch eine Oma aus dem osteuropäischen Sprachraum, das Leben gerettet würde. „Babuschkas“ (Angela Libal) Räuberenkel/Innen fälschen mit entsprechender Routine das Schreiben: Paul wird zum zukünftigen Ehemann der Königstochter Pippa (Sophie Laurenat) ernannt. Kurz nach der von Königin Sofia (Silvana Ganz) arrangierten Blitzhochzeit, der wohl schnellsten in der Theatergeschichte, kommt Heinrich heim und traut seinen Augen nicht: Der dreiste Bursche ist nicht im Kerker sondern sein Schwiegersohn! Um den Bengel endgültig loszuwerden, stellt der Paragraphenkönig Paul eine unlösbare Aufgabe. Er soll in die Hölle gehen und dem Teufel seine drei goldenen Haare stehlen. Auch ein Glückshautträger wird das nicht lebend überstehen, hofft Heinrich. Natürlich überlebt Paul die Höllenfahrt – zum zweiten Mal mit Hilfe von Teufels Großmutter. Und ganz nebenbei löst er noch drei Rätsel und befreit die unglückliche Fährfrau (Nadine Schächtele). Während an ihrer Stelle der geldgierige König nun lebenslänglich über den Styx rudert, dürfen Paul und Pippa glücklich werden.
Das komplexe Märchen, das sich, wie so viele andere diese Genres, im eigentlich für Erwachsene geeigneten Original ebenso mit sozio- psychologischen wie religiös- philosophischen Fragen beschäftigt, wurde von Peter W. Hermanns gekonnt in ein witziges und kindgerechtes Bilderbuch des 21. Jahrhunderts transponiert. Ganz im Stil eines Bilderbuches war denn auch das Bühnenbild von Stephanie Breidenstein gehalten, das den teils freundlichen, teils dramatischen Hintergrund für die Figuren bildete, ohne dabei jemals ins Gruselige abzugleiten. Farbenfroh wie bereits im Vorjahr waren die phantasievollen Kostüme, für die ebenfalls Peter W. Hermanns verantwortlich zeichnete. Alle Darsteller/Innen waren mit viel Talent aber vor allem mit beneidenswerter Unverkrampftheit bei der Sache, sagten ihre Texte nicht auf sondern lebten ihre Figuren. Besonders brillierten Jakob Stubert (Paul) sowie die Publikumslieblinge Teufel Lu(zifer) (Harald Bürgin) und Oma Nani (Elke Bürgin). Die coole Girlie- Prinzessin Pippa (Sophie Laurenat) entkräftete alle kitschigen und pinkfarbenen Prinzessinnen- Klischees und König Heinrich I konnte sich so manche/r der älteren Zuschauer/Innen sicherlich auch gut an der Spitze einer Behörde vorstellen. Anspielungen wie die auf den Film „Ghostbusters“, Lu versucht mit einem gewaltigen Laubsauger ein widerspenstiges Schlossgespenst in die Hölle zu saugen, oder die Hölle der Bürokratie, mit der zwar selbst der Teufel, nicht aber der König hadert, brachten auch die erwachsenen Zuschauer zum Lachen. Die verschiedenen Stationen von Pauls Heldenreise wurden jeweils mit der passenden Musik thematisch gekennzeichnet. Einige Episoden, wie der Besuch in der Stadt mit verdorrtem Baum und versiegtem Brunnen konnten zwar nur kurz gestreift werden, wurden aber durch Humor und originelle Einfälle (Brunnen mit Elektroantrieb) wirkungsvoll in Szene gesetzt. Begeisterter Applaus von Enkeln/Innen, Eltern, Opas und natürlich vor allem von Omas waren der verdiente Lohn für Schauspieler/Innen, Regie und alle anderen Aktiven. Und vielleicht eine Anregung auch und gerade für die älteren Besucher/Innen einmal wieder zum Märchenbuch zu greifen, und den Enkeln eine selbst umgedichtete Version vorzulesen. Muss ja nicht auf Anhieb so perfekt sein, wie bei Peter W. Hermanns…
Alle Infos zum Theaterstück, den Festspielen Breisach e. V. und den weiteren Aufführungsterminen gibt es im Internet unter www.festspiele-breisach.de.