Griffig, runderneuert oder schlicht profillos? Die Wahlkreiskandidaten der fünf großen Parteien, Dr. Patrick Rapp (CDU), Christoph Bayer (SPD), Bärbl Mielich (Bündnis 90/ Die Grünen), Martin Cammerer (FDP) und Hanspeter Egel- Fischer (Die Linke) waren der Einladung des Breisacher Ortsverbandes der Europa- Union gefolgt und in die Münsterstadt gekommen. Bei einer Podiumsdiskussion am Montag, den 28. Februar 2011, hatten interessierte Bürger/Innen Gelegenheit, den fünf Politikern (m/w) gründlich auf den Zahn zu fühlen.
Es ist eine gute Tradition bei der Breisacher Europa- Union, so deren erster Vorsitzender Gerhard Kopp, jeweils vor Wahlen die Kandidaten aller Parteien an einen Tisch zu holen. Und dass diese Tradition sehr beliebt ist, bewies der enorme Zuschauerandrang in der deutsch- französichen Begegnungsstätte.
Mit ein wenig Verspätung, die fünf Unerschrockenen hatte bereits eine Podiumsdiskussion in Müllheim hinter sich gebracht, konnte Moderator Gerold Zink die Dame und die vier Herren begrüßen und in die Spielregeln für den Abend einweisen, die im wesentlichen auf dem Grundsatz „mehr Dialog als lange Statements“ beruhten. Durch Geburt zur Politik!
Zunächst wurden jedem Kandidaten (m/w) drei Minuten gegeben, um sich und den politischen Werdegang vorzustellen.
Der 62jährige Diplom- Pädagoge und aktive Katholik Christoph Bayer, der seit 2001 im Stuttgarter Landtag sitzt, ist durch die „2 W“ zur Politik gekommen. Willy (Brandt) und Wyhl. Brandts Motto „Mehr Demokratie wagen“ und der Kampf gegen „das Menetekel vor der Haustür“ (AKW Wyhl) hatten Bayer zum Eintritt in die SDP bewogen. Als sein Lebensthema bezeichnete er „mehr soziale Gerechtigkeit“.
Dr. Patrick Rapp, 42jähriger Forstwissenschaftler aus Oberried, war über die Wahl zum Gemeinderat politisch aktiv geworden. Als seine wichtigsten Themen nannte Rapp die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Entwicklung im ländlichen Raum und die Durchlässigkeit des Bildungssystems. Er sieht Politik als „Verantwortung für das Ganze“ und macht sich zudem für „Nachhaltigkeit in der Politik stark“. Seinen Doktor, betonte Rapp anlässlich aktueller Ereignisse, hätte er im Übrigen selber geschrieben!
Für Martin Cammerer war sein einschneidenstes Erlebnis seine Geburt vor 53 Jahren. Dem Umstand auf der Welt zu sein, verdankt er letztlich auch seine FDP- Mitgliedschaft. Die FDP hatte ihn von Anfang an „als liberale Partei gefesselt“, da Liberalität für ihn vor allem Freiheit bedeutet. Neben der Faszination für liberale Fesseln engagiert sich Cammerer in der BI MUT, die sich für die Bürgertrasse beim Ausbau der Rheintalbahn stark macht. Zudem ist Cammerer Mitglied der Europa- Union.
Hanspeter Egel- Fischer, Jahrgang 1941, war durch das „unsägliche Hartz IV- Gesetz“ zur Linken gekommen. Zuvor hatte er bereits Erfahrungen in der SPD und in einem früheren Leben bei der Jungen Union gesammelt. Als seine Schwerpunktthemen nannte „der Wanderer zwischen den Welten“ die Gesundheitsreform und die Fiedenspolitik.
Bärbl Mielich war während ihres Studiums der Sozialpädagogik in den 70er Jahren politisch infiziert worden. Sie wurde 1952 in Wuppertal geboren und ist bereits seit 1984 Mitglied bei den Grünen, die sie damals durch den Leitspruch „Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geborgt“ überzeugt hatten. Die Verantwortung dafür, wie die Welt von morgen aussehen soll, ist für Bärbl Mielich bis heute das zentrale Thema. Infrastruktur und Verkehrspolitik
Zum ersten Themenkomplex „Infrasruktur und Verkehr“ warf Moderator Gerold Zink mit Bitte um Stellungnahme die Kuschelthemen Stuttgart 21 und B31 West in den Raum.
Dr. Patrick Rapp sprach sich sowohl für den unterirdischen Bahnhof als auch für die überirdische Straße aus. Dieser Position schloß sich Martin Cammerer in vollem Umfang an. Hanspeter Egel- Fischer wollte dazu nichts sagen, weil er sich „da nicht so auskennt“. Grundsätzlich wünschte er sich für Großprojekte aber Volksentscheide.
Bärbl Mielich sprach sich in Sachen Bundesstraße 31 gegen einen Weiterbau und für ein „harmonisches Ende hinter Gottenheim“ aus. Für den Straßenbau wünschte sie sich, schon aufrgrund knapper Kassen, eine Prioritätenliste. Stuttgart 21 sei kein Verkehrsprojekt der Zukunft sondern nur gigantisch teuer. Christoph Bayer stellte sich in Sachen S21 klar gegen die Landtagsfraktion seiner Partei. Er sei gegen das Bahnprojekt, da er es für wichtiger hielt, mehr Geld in den Lärmschutz bei der Rheintalbahn zu investieren als in den Megabahnhof. Das „harmonische Ende“ der B31 hielt er jedoch für eine „Fata Morgana“ und sprach sich klar für den Weiterbau der Straße bis Breisach aus.
Bei der anschließenden Publikumsrunde störten sich etliche Zuhörer an den geplanten Milliardenausgaben für das Bahnprojekt, das sicherlich noch teurer werden würde. Ein Mann beklagte bei den B31- Gegenern das mangelnde Verständnis für die Lage der Bürger in Wasenweiler.
Dr. Patrick Rapp betonte, dass die (Mehr-)kosten für S21 bei den Schlichtungsverhandlungen auf den Tisch gekommen seien. Die B31 bezeichnete er als wichtiges Infrastrukturprojekt für den ländlichen Raum. Martin Cammerer bevorzuge heute auch einen Bahnhof in Stadtrandlage, allerdings seien die Planungen in Stuttgart zu weit fortgeschritten, um nochmals umzuplanen. Die B31 sei wichtig, „um die Verkehrsströme aus Breisach aufzunehmen", so der FDP- Kandidat.
Bärbl Mielich betonte, dass sie die Sorgen der Wasenweiler Bevölkerung sehr ernst nähme. Sie plädierte allerdinges für ein Verkehrslenkungskonzept für LKWs von Freiburg über die A5 auf die alte B31. Christoph Bayer betonte, dass man mit dem Ausbau der neuen Bundesstraße nicht weiter zögern sollte, um die Anlieger/Innen zu entlasten. AKWs und Energiepolitik
Beim zweiten Themenblock galt es für die Prüflinge Stellung zu Atomkraftwerken im Allgemeinen und zu Fessenheim im Speziellen zu nehmen.
Hanspeter Egel- Fischer hielt die Atompolitik in Deutschland für „ganz furchtbar“. Der Atomkonsens von Grünen und SPD sei vernünftig gewesen, so Egel- Fischer. Der jetzigen Regierung ginge es nur darum, die „Geldsäcke der Konzerne zu füllen“.
Martin Cammerer sprach sich zwar für die Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke aber gegen das Fortbestehen des altersschwachen Reaktors Fessenheim aus. Dr. Patrick Rapp betonte, dass man „den Vernunftsgedanken spielen lassen“ müsse. Zwar konnte er sich durchaus einen rascheren Atomausstieg vorstellen, aber der Ausbau der regenerativen Energien sei im Moment noch nicht weit genug. Die Energieproduktion solle aber so schnell wie möglich weg von der Atomkraft. TRAS- Mitglied Christoph Bayer hofft darauf, Fessenheim auf juristischem Wege stillzulegen. Die Laufzeitverlängerung der deutschen AKWs bezeichnete er als Gefahrzeitverlängerung. Bayer sprach sich auch gegen die großen Energiekonzerne und für kleine, regional Energiemixe aus. Die Kernkraftwerke seien nichts weiter als eine „große Gelddruckmaschine“.
Atomstrom ist billig in der Herstelllung aber teuer im Verkauf, fasste Bärbl Mielich den Reibach der Atomstromkonzerne zusammen. Ökostrom von kleinen, regionalen Anbietren hingegen ist günstig. Außerdem, so Mielich, sei es unverantwortlich, Atommüll zu produzieren, so lange die Endlagerfrage weiter offen ist. Die regenerative Energie hat nur eine Chance, betonte die Grünen- Politikerin, wenn „Atostrom endlich endlich ist“.
Die Zuhörer beschäftigte in der Fragerunde vorallem die Atommüllfrage. Denn letzlich zahlen nicht die AKW- Betreiber sondern die Steuerzahler für die Aufbewahrung des strahlenden Abfalls, von dem keiner wirklich weiß wohin damit. Außerdem wurde die Forderung laut, die Atomstrommillionen zumindest teilweise in die Förderung regenerativer Energien zu stecken.
Dr. Patrick Rapp hielt es für wichtig, mit Nachdruck an der Erforschung und dem Ausbau regenerativer Energien zu arbeiten. Auch die Endlagerfrage müsse mit „einiger Anstrangung“ gelöst werden, so der CDU- Kandidat. Die Stromproduktion müsse neben preislicher Transparenz aber vor allem auch Versorgungssicherheit gewährleisten. Im Moment ist eine Abschaltung der AKWs noch nicht möglich, fand auch Martin Cammerer. Auch er wünschte sich aber, dass die Gewinnabschöpfungen der Förderung alternativer Energien zu Gute kommen. So lange es die Menschen gibt, blickte Christoph Bayer in die Zeit zurück, haben diese ihre Energie regenerativ erzeugt. Das Abschalten der AKWs sei nicht nur eine wissenschaftliche Notwendigkeit sondern auch eine ethische Frage, so der gläubige Katholik. Soziale Gerechtigkeit
Zum guten Schluß kam noch ein Riesenthema auf den Tisch: Die immer weiter klaffende Schere zwischen arm und reich.
Christoph Bayer sah eine Lösung vor allem in einer Chancengleichheit in der Bildungspolitik. Die Koppelung zwischen Bildung und sozialer Schicht sei gerade in Baden- Württemberg besonders groß, bedauerte Bayer. Unter anderem wünschte er sich eine Abschaffung der Grundschulempfehlungen, längeres gemeinsames Lernen aller Schüler/Innen, bessere Schulsozialarbeit und mehr Ganztagesschulen. Das gegenwärtige Bildungssystem verschärft die Ungerechtigkeit, so Bayer.
Diese Statement unterstrich Hanspeter Egel- Fischer. Martin Cammerer betonte hingegen, dass „unser Bildungssystem eines der Besten ist“, was ihm vielleicht keine Wählerstimmen aber zumindest viele Lacher im Publikum einbrachte. Dr. Patrick Rapp sprach sich für Bildung für jeden aus, sah aber als „Kern des Zusammenlebens“ die Familie und nicht die Ganztagesschule. Bärbl Mielich tat diese Sichtweise eher in den Bereich romantsischer Schwärmerei ab. Die Familienstrukturen hätten sich geändert. Alleinerziehende und Doppelverdiener aufgrund von niedrigen Löhnen seien darauf angewiesen, ihre Kinder zumindest partiell in staatliche Obhut zu geben. Sie wünschte sich unter anderem mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf und gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Wahlprognose und Hauptthema
Zum Schluss durfte jeder der fünf TÜV- Kandidaten noch eine Prognose für die eigene Partei abgeben und ein Schwerpunktthema seiner Politik benennen. Hanspeter Egel- Fischer sah die Linke im Landtag und wünschte sich eine Politik, die die Menschen ernster nimmt. Auch Martin Cammerer überschritt mit seiner FDP die 5%- Hürde. Er wollte eine Politik, die mehr auf den Bürger zugeht. Patrick Rapp sah Ministerpräsident Mappus auch noch im April regieren. Besonders die Sorgen und Probleme der Menschen im ländlichen Raum liegen ihm am Herzen. Christoph Bayer sah die SPD mit rund 30% gemeinsam mit den Grünen einen Machtwechsel herbeiführen. Er hoffte vor allem auf die Realisierung der „Bürgertrasse“ beim Ausbau der Rheintalbahn, aber auch die Risse in Staufen wollte er zum Thema machen. Auch Bärbl Mielich prognostizierte den Wechsel zu Rot- Grün. Ihre Schwerpunktthemen sind bessere medizinische Versorgung im ländlichen Raum und mehr Bürgerbeteiligung.
TÜV- Plakette oder Wahl- Watsche?
Nach soviel Politik zum Anfassen dürfen nun die Wähler/Innen entscheiden, wer sich beim Kandidaten- TÜV bewährt hat. Ob der rote, grüne, gelbe, schwarze oder pinkfarbene Reifen sich auch in schwierigem Gelände bewähren und auf dem glatten politischen Parkett genügend Bodenhaftung bewahren wird, wird wohl erst die vierjährige „Marterstrecke“ nach der Landtagswahl an den Tag bringen.
Autor: Julius W. Steckmeister (Breisacher Nachrichten, Artikel-Nr. 3916 ISSN 2698-6949)