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Freitag, 15. November 2024
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Maulkörbe für Bürger? - Der Zwischenruf als Ärgernis oder Erfrischung in der streitbaren Demokratie?

Maulkörbe für Bürger? - Der Zwischenruf als Ärgernis oder Erfrischung in der streitbaren Demokratie? (Bild: Hut ab vor intelligeten Zwischenrufen)

Vor der Wahl sprechen sie anders als nach der Wahl? Vor der Wahl fordern sie die Bürger auf, sich zu äußern und versprechen, auf sie zu hören. Nach der Wahl wollen sie ihnen am liebsten Maulkörbe umhängen und hinter verschlossenen Türen tagen? Doch es gibt in der Verfassung und auch in der Gemeindeordnung keine Maulkorb-Vorschrift, die Zwischenrufe der Bürger in Versammlungen (auch in öffentlichen Gemeinderatssitzungen) ausdrücklich verbietet. Und was nicht ausdrücklich verboten ist, ist im Zweifel im freien Bürger-Staat erlaubt. Nur wenn die Zwischenrufe den Verlauf der Sitzung empfindlich stören würden, könnte der Versammlungsleiter, Sitzungspräsident, Bürgermeister mit seinem Polizeirecht eingreifen. Das wäre der Fall, wenn Bürger mit Zwischenrufen Beleidigungen oder Verleumdungen aussprächen . Oder wenn lautstarke Gruppen in Erscheinung träten, deren erkennbares Ziel es wäre , die Sitzung mit Sprech-Chören zu sprengen oder zu stören. Oder wenn ein Bürger immer die gleichen, sich wiederholenden und langen Zwischenrufe machen würde. Dagegen muss ein sachlicher Zwischenruf hingenommen werden. Die Verfassung kennt bei öffentlichen Veranstaltungen keinen Maulkorb oder ein Heftpflaster für den freien Meinungs-Mund der Bürger. Das gab es nur bei den Nazis und der Stasi. Wer dort ein falsches Wort sagte, wurde abtransportiert. Deutschland hat schon Erfahrung mit zwei brutalen Diktaturen und muss eine Dritte verhindern. Bei uns kann die Bundeskanzlerin auftreten und keinem einzigen Bürger kann während der öffentlichen Veranstaltung das Mund zugeklebt werden. Jeder könnte während der Rede der Bundeskanzlerin, im Deutschen Bundestag und in der Öffentlichkeit, einen Zwischenruf machen. Denn ist gilt: Die Freiheit der Rede. Keiner muss seine Sätze genehmigen lassen, bevor er sie aus seinem Mund heraus spricht. Und wenn einer unwahre, beleidigenden oder verleumdende Sätze spräche, stünde dafür das passende Strafgesetz zur Verfügung. In den Gemeinden kann der Gemeinderat eine Geschäftsordnung beschließen, in der er regelt, in welcher Form er die Bürger in den öffentlichen Gemeinderatssitzungen beteiligt. Denn nach dem Gesetz kann er die Bürger jederzeit in der Sitzung anhören, besonders betroffene oder sachkundige Bürger. Der Zwischenruf, solange er die Sitzung nicht empfindlich stört, ist davon unberührt und in keinem Gesetz ausdrücklich verboten. Ganz im Gegenteil: er dient, nach überwiegender Meinung vieler Parlamentarier, der Lebendigkeit von öffentlichen Sitzungen in einer streitbaren Demokratie. Zwischenrufe bestehen meist nur in wenigen Worten oder einem einzigen Satz. Es sind keine langen Monologe. 

Die wilden 80ziger:  „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch!“

Erinnern Sie, liebe ältere Leserinnen und Leser, sich noch an Richard Stücklen? Den gemütlichen dicken Herrn mit der lustigen Glocke? Stücklen war von 1979 bis 1990 Bundestagspräsident beziehungsweise -vizepräsident. Damals, in der „guten alten Zeit“, als man sich die Bundestagsdebatten noch im Fernsehen ansehen konnte ohne dabei sofort in Totenstarre zu fallen. Damals, als es noch Politiker vom Schlage eines Herbert Wehner und Helmut Schmidt gab und die ersten grünen Abgeordneten noch in Turnschuhen und Pullovern im Parlament erschienen und ihre Langeweile in einer allzu drögen Bundestagssitzung durch demonstratives Stricken zum Ausdruck brachten. Zumindest aber waren diese Abgeordneten noch physisch anwesend! Vom Tiefschlaf oder von allzu unerträglicher Eintönigkeit hielt einen jedoch meist die Glocke des Herrn Stücklen ab, die dieser des Öfteren vehement schwenkte, wenn einmal mehr ein Zwischenruf aus den Reihen der Abgeordneten den Monolog des Redners unterbrach, um auf Unrichtigkeiten, Wiederholungen oder sonstige beliebte Methoden der Einlullung von Zuhörern aufmerksam zu machen. Der „Abgeordnete Fischer“ quittierte im Oktober 1984 das Eingreifen Stücklens bei seiner Fraktionskollegin Christa Nickels - Stücklen hatte dieser aufgrund eines vorangegangenen Zwischenrufs bereits das Tischmikrophon abgestellt - mit obigem Zitat.

Langweile statt Direktheit und Lebendigkeit?

Ganz sicher schoss der späterer Außenminister der Bundesrepublik Deutschland  damals weit und flegelhaft über das Ziel hinaus und wurde beleidigend. Am Folgetag entschuldigte sich Joseph „Joschka“ Fischer beim Präsidenten für seine Wortwahl. Und Stücklen war ein Herr. Er vergab Fischer und schickte ihm nicht die Staatspolizei. Angemessene Zwischenrufe sind das Salz in der Suppe der streitbaren Demokratie.
Reibung erzeugt Wärme und Leben. Oft lächelt beim Streit die Wahrheit. Und was die Sitzungen im Bundestag betrifft, ist von damals lediglich die lustige Glocke geblieben, die aber vor den meist leeren Sitzreihen langsam verstaubt. Bundestagssitzungen sind zu lahmen Routineveranstaltungen verkommen, die selbst von den Abgeordneten, den gewählten „Volksvertretern“ oft gemieden werden. Die eigentlichen Entscheidungen „fänden ja ohnehin in den Ausschüssen statt“, heißt es hinter nicht allzu vorgehaltener Hand. Also unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Wen wundert angesichts solcher Tatsachen eine erschreckende Demokratie-Verdrossenheit und immens anwachsende Politik-Müdigkeit gerade bei der „jungen Generation“? Der geradezu atemberaubend spannende Wahlkampf - oder sollte wir besser „Wahlfrieden“ sagen - zwischen Angela Merkel und ihrem „Herausforderer“ Frank Walter Steinmeier stellte in diesem „Super-Wahljahr“ den traurigen Höhepunkt der momentanen Verfassung unserer Demokratie dar. „Wo bleibt das Volk?“ ließe sich passend zum 20jährigen Jubiläum der deutschen Wiedervereinigung fragen.

Rückblick in die Geschichte der Herrrschaft des Volkes

Die Demokratie kommt aus Griechenland. Das merkt man ihrem Namen an: demos steht für VOLK, kratos ist das altgriechische Wort für HERRSCHAFT. Eine Demokratie ist also nichts anderes als die Herrschaft des Volkes. Grundlage der demokratischen Staatsform, so Aristoteles (384 v. Chr. bis 322 v. Chr.), ist die Freiheit des Einzelnen. Grundbestandteil der Demokratie war die Volksversammlung (Versammlung der Freien), die Vorläuferin all unserer heutigen demokratischen Versammlungsformen. Solche Versammlungsformen allerdings bedürfen gewisser Spielregeln um funktions- und damit handlungsfähig zu sein. Denn die Freiheit ist zwar ein hohes, aber auch ein stets bedrohtes Gut. Das erkannte bereits Cicero (106 v. Chr. bis 43 v. Chr.). Die Demokratie als Herrschaftsform, so der römische Politiker und Philosoph (damals waren diese beiden Berufe noch vereinbar!), „besticht durch die Freiheit, die die Bürger in ihr genießen. Diese Freiheit ist aber bedroht durch die Zügellosigkeit der Massen.“ Hier zeichnet sich ein Dilemma ab, das auch viele Jahrhunderte später noch die Staatsphilosophen und Gesellschaftstheoretiker beschäftigen sollte und bis heute beschäftigt: der Spagat zwischen dem Mitspracherecht jedes einzelnen freien Bürgers und der Funktionsfähigkeit einer demokratischen Herrschaft und ihrer Institutionen. Denn zum einen sind Herrscher und Beherrschte gleichgestellt (J.-J. Rousseau, Du Contrat Social 1762), zum anderen aber verzichtet jeder Einzelne auf seine Rechte zugunsten der Gemeinschaft (John Locke, Two Treatises of Government 1689), der so genannte „Gesellschaftsvertrag“.

Der Zwischenruf als „Demokratische Erfrischung“ in der streibaren Demokratie

Die Demokratie lebt vom Volk - eine Demokratie ohne Volk ist tot. Zu dieser Lebendigkeit gehört, dass der Einzelne in der politischen Diskussion eine Stimme hat, nicht nur am Wahltag auf einem Stück Papier, sondern auch in politischen Gremien und gegenüber den von ihm gewählten Vertretern. In unserer Demokratie sind für dieses Bedürfnis Rahmenbedingungen geschaffen, so gibt es bei öffentlichen Gemeinderatssitzungen so genannte „Bürgerfragestunden“, in denen jeder Gehör findet, der seinen „Regierenden“ Nöte, Sorgen aber auch Anregungen mitteilen möchte. Eine tolle Einrichtung, ohne Frage! Aber genug? Danach nur noch Zugucken, Zuhören, Ein- oder Abnicken? Denn gerade im Verlauf einer Versammlung tun sich ja auch für den aufmerksamen also interessierten Zuhörer neue Probleme und Fragestellungen auf.

Qualitäts-Show und Intelligenz-Test der Gewählten

Parlamentssitzungen sind eine eine Art "Politiker-Waren-Test" für Intelligenz, Charakter und Können der gewälten Abgeordneten und Räte. Eine Qualitäts-Show für die Wahl-Bürger. Er oder sie kann beobachten, wie „seine/ihre“ Politiker mit Sachverhalten umgehen. Wird nachgehakt, überspielt, tot geredet? Ist in der Diskussion ein Fortschreiten oder eine Stagnation zu erkennen, oder wird einfach nur um den heißen Brei herumgeredet, weil keiner dem Anderen, dem Kollegen zu nahe treten will? Oder werden gar Themen einfach cora publico unter den Teppich gekehrt? Zeigt der Gewählte blinde Gefolgschaft oder eigene Intelligenz bei der sachgerechten Lösung von Problemen. In solchen Situationen kann ein Zwischenruf zwar durchaus unbequem sein, zumindest für die Volksvertreter, die etwas zu verschleiern haben oder die schlichtweg eingenickt sind. Aber ehrlichen, engagierten und vor allem selbstbewussten Politikern sollte diese Unterbrechung  nicht unwillkommen sein. Ein geistreicher oder angebrachter Einwand eines Zuhörers kann als Ausrufezeichen, Hinweis oder Anregung zum Weiter- oder Andersdenken verstanden werden, kann helfen, einen ausgetretenen Pfad, der sich vielleicht sogar bald als Sackgasse entpuppt, zu verlassen, oder aber zumindest ein paar schlafende Hinterbänkler wieder aufwecken. Außer Frage steht, dass eine Versammlung - auch mit mündigem Publikum - arbeitsfähig sein muss. Pöblern, Intoleranten und Profilneurotikern, Selbstdarstellern und Möchtegernrhetorikern kann und sollte kein Raum gegeben werden, Handhaben dafür stehen jedem Versammlungsleiter zur Verfügung. Wenn es aber „um die Sache geht“, die Demokratie nämlich, ist es angebracht, sehr genau zwischen Störung und Zwischenruf zu trennen, denn ein Zwischenruf kann eine „Demokratische Erfrischung“ sein! Nur große Geister tolerierten Zwischenrufe? Kleine fühlten sich von Zwischenrufen gestört? Helmut Schmidt und Konrad Adenauer haben sie zur Würze für ihre Reden benutzt. Sie gingen in ihrer Replik blitzschnell, intelligent, witzig, oder gelegentlich auch bissig-provokativ, darauf ein. Oft nahmen sie Anregungen sofort auf. Deswegen gab es lebendige Debatten. Manchmal hatten Zwischenrufer kluge Ideen, die Lösungen brachten. Manche Idee eines geistreichen Zwischenrufers erwies sich sogar als gemial. Nur kleine Geister "verbaten" sich Zwischenrufe. Sie hielten sich selbst für zu wichtig und behaupteten,  mit ihren "guten Gedanken" aus ihrem Konzept zu kommen. Doch es fand sich noch kein Heftplaster, mit dem man den unbequemen Bürger-Mund fest zukleben kann.

Und wie siehts an der Basis in der Gemeinde aus?

Nach § 33  der Gemeindeordnung können Bürger an der Gemeinderatssitzung mitwirken. Der Gemeinderat kann sachkundige Einwohner und Sachverständige zu den Beratungen einzelner Angelegenheiten zuziehen.  Der Gemeinderat kann bei öffentlichen Sitzungen Einwohnern  die Möglichkeit einräumen, Fragen zu Gemeindeangelegenheiten zu stellen oder Anregungen und Vorschläge zu unterbreiten und ihre Auffassung im Gemeinderat vorzutragen. Auch Zwischrufe sind in keinem Gesetz ausdrücklich verboten. Nur wenn ein Zwischenrufer den Verlauf der Sitzung empfindlich stören würde, könnte der Bürgermeister von seinem Polizeirecht GEBRAUCH machen. In diesem Fall bittet er den Zwischenrufer, die Störung der Sitzung zu unterlassen. Setzt der Zwischenrufer die Störung fort erteilt der Bürgermeister dem Zwischenrufer eine weitere Abmahnung und droht ihm den Ausschluss aus der Sitzung an. Gibt der Zwischenrufer auch dann noch keine Ruhe, kann er ihn beim dritten Verstoß aus dem Sitzungssaal verweisen. Das setzt aber, wie gesagt, sehr empfindliche Störungen des Sitzungsverlaufs voraus. Der Bürgermeister wird deswegen in einer streitbaren Demokratie sorgfältig abwägen müssen, ob ein Zwischenruf tatsächlich eine empfindliche Störung darstellt. Im Deutschen Bundestag greift der Präsident selten gegen Zwischenrufe ein. Deswegen wurden in einer Legislaturperiode 57.000 (!!!) Zwischenrufe gezählt. Lebendige und streitbare Demokratie sieht nicht so aus, dass die Bürger schweigen müssen, wenn die von ihnen gewählten Vertreter über ihre Angelegenheiten beraten und entscheiden. In Umkirch ist Bürgermeister Walter Laub in der Regel großzügig bei Zwischenrufen von Bürgern.  Oft gibt er Bürgern auch die Gelegenheit, ihre Anliegen dem Gemeinderat vorzutragen. Auch die meisten Gemeinderäte sind aufgeschlossen. Nur wenigen passt es nicht und sie würden gerne Maulkörbe verteilen. Doch die Leitung der Sitzung hat nicht ein einzelner Gemeinderat sondern der Bürgermeister. Und der  sieht es locker, kann zuhören und will lernen. Laub weiss: Mancher Bürger ist gescheiter als mancher Gemeinderat.

  (Umkircher Nachrichten, Artikel-Nr. 1738 ISSN 2698-6949)

Angelegt am 10.10.2009 11:11.

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Es ist erreicht ? Maulkörbe für Bürger? - Der Zwischenruf als Ärgernis oder Erfrischung in der streitbaren Demokratie? (Bild: Nazi-Karikatur )  
   
 

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2 Kommentar(e)

16.10.2009 10:50:56   #2

Maria (Leser)
   
Registriert seit: 02.07.2009
Beiträge: 10
Auf zum Zwischenruf der Demokraten ! Buchali und Co sind nicht die schweigende Mehrheit !

16.10.2009 10:07:50   #1

ha-si-umkirch (Leser)
   
Registriert seit: 16.10.2009
Beiträge: 4
Richtig. Auch in Umkirch sieht man in den Gemeinderatssitzungen was die Gemeindeträte auf dem kasten haben. Vorschlag: Zeichen sie mal den besten und den schlechtesten Gemeinderat aus. Oder verleihen Sie dem besten eine Krone und dem Schlechtesten eine Mütze. Die Geheimistuerei geht einem wirklich auf den Wecker. Denken viele Räte, Gemeinde sei ihr Eigentum?
Geheime Sitzungen gehören in einer Bürgerdemokratie abgeschafft! Kritik und Zwischenrufe sind das Salz in der Demokrtatie !

 


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